Vom Aufraffen und Aufstehen

(Bibelarbeit zu Mk 5, 21ff.)

Heute geht es um Aufraffen und Niederfallen. Um Stillliegen und Aufstehen. Um Stehenbleiben und Weitergehen. Und um eine ganz besondere Verbindung.

Steigen wir ein in die biblische Geschichte von der Auferweckung eines Mädchens und der Heilung einer blutenden Frau.

Jesus war mal wieder mit seinen Jüngern im Fischerboot über den See gefahren. Kaum am anderen Ufer angekommen, versammelte sich eine große Menschenmenge um ihn. Die Leute hatten schon auf Jesus gewartet.

Das ist das Setting, und hier ist noch einmal die Geschichte:

… Es kam einer der Synagogenleiter dazu. Mit Namen Jairus. Er sieht Jesus, wirft sich vor ihm nieder und fleht ihn an: „Komm in mein Haus! Meine Tochter liegt im Sterben. Leg ihr die Hände auf, damit sie gerettet wird und am Leben bleibt.“

Der Mensch, der hier zu Jesus kommt, gehört zur Stadtprominenz. Er ist Vorsteher des Ortes und der Gemeinde. Er steht somit für ein bestimmtes System, die Wirklichkeit zu deuten, Probleme zu lösen und die Gesellschaft zusammen zu halten. Aber jetzt steht er nicht als Synagogenleiter vor Jesus, sondern als Vater. Er hat ein Problem, das er mit seinem Können nicht lösen kann. Es geht um das Leben seiner Tochter. Darum wirft er sich vor Jesus nieder. In aller Öffentlichkeit. Es ist eine Kapitulation. Und zugleich Ausdruck seiner letzten Hoffnung: „Leg du ihr die Hände auf, dann wird sie gerettet.“ Jesus zögert nicht. Er geht mit ihm.

Wegmarke: Mitgehen.

Wenn ich diese Worte höre: „Er geht mit ihm“ – atme ich innerlich auf. Denn das Wissen, dass Jesus, der Inbegriff aller Lebenskraft, mit ihm geht, ist wie ein Vorwegnehmen dessen, was noch geschehen wird. „Er geht mit ihm“ ist eine Verheißung, ein großer Trost. Warum? Weil ich weiß: Wenn Jesus mit einem Menschen mitgeht, dann wird er diesen Menschen nicht im Stich lassen, sondern wird bis zum Ende und durch das Ende hindurch bei diesem Menschen bleiben. Das ist der Ausgangspunkt, an dem auch wir uns festhalten können: Die göttliche Liebe geht mit uns, bis zum Ende und durch das Ende hindurch.

Auf diesem Weg wird Jesus von der Volksmenge fast erdrückt. Die gehen nämlich ebenfalls alle mit! Sie haben gesehen, wie sich ihr Orts- und Gemeindevorsteher flehentlich Jesus zu Füßen geworfen hat. Und wollen nun natürlich sehen, was weiter passiert. Ganz schön schwer für Jesus und Jairus, durch dieses Gedränge hindurchzukommen.

Und dann plötzlich – bleibt Jesus stehen und sagt: „Wer hat mich berührt?“ Äh, Jesus… du siehst doch, wie sich die Menschenmassen um dich drängen. Alle berühren dich!“

Aber Jesus bleibt dabei: Jemand hat mich berührt!

Das war mehr als eine belanglose Berührung. Es war – nahezu magisch. Eine Kraft ist von Jesus ausgegangen, eine „dynamis“, wie es im griechischen Urtext heißt. Eine Dynamik wurde in Gang gebracht. Etwas hat sich bewegt. Etwas ist geschehen. Ausgelöst durch eine ganz gezielte Berührung. Jesus hat es gemerkt. Und geht nicht weiter.

Ich stelle mir Jesus hier vor wie so einen Akku, an den für einen kurzen Augenblick ein Gerät angeschlossen wird, das Energie aus ihm heraussaugt. Ich weiß nicht, ob da nur, sagen wir mal, 20% der Akkuladung von Jesus weggeflossen sind. Sprich, ob er durchaus auch hätte weitergehen können. Oder ob es zu einer Art Totalentladung kam, so dass er stehen bleiben musste. Tatsache ist: Jesus geht nicht weiter. Er bleibt stehen.

Wegmarke: Stehenbleiben.

Wir sind alle auf einem Weg. Auf unserem Weg. Vielleicht haben wir dabei auch ein konkretes Ziel vor Augen, eine Aufgabe, die es zu erledigen gilt. Einen Meilenstein des Lebens, den wir erreichen wollen. Und dann – auf dem Weg – passiert etwas. Etwas so Kraftzehrendes, dass wir stehen bleiben. Nicht mit halber Kraft weitergehen. Sondern stehen bleiben und anschauen, was geschehen ist. Und dabei den Akku wieder aufladen. Das ist etwas, das wir einüben können. Uns Zeit nehmen. Nicht darüber hinweggehen. Sondern anschauen. Verstehen. Akku aufladen. Und dann erst: Weitergehen.

„Jemand hat mich berührt“, sagt Jesus und blickt sich um.

Eine Frau tritt hervor, zitternd und voller Furcht. Sie tritt heraus aus der Verborgenheit in der Menge, aus der Anonymität. Sie weiß, was mit ihr geschehen ist, welche Dynamik sich da gerade abgespielt hat, im Verborgenen. Kein anderer Mensch hat es bemerkt. Nur Jesus und sie. Nun fällt auch sie – wie zuvor Jairus – vor Jesus nieder und erzählt ihm, Jesus, was ihr widerfahren ist. Was sie hier erzählt, ist höchst intim. Es betrifft ihr Innerstes. Und ich bin mir sicher, dass eben nicht die ganze Menschenmenge es hört. Ich glaube, die Frau flüstert. Jesus kniet sich hin und hält sein Ohr nah an ihren Mund, um sie zu hören.

„Zwölf Jahre lang habe ich an Blutungen gelitten. Ich war bei so vielen Ärzten. Ich habe so viel durchgemacht und mein ganzes Geld dafür ausgegeben. Alles, was ich besaß. Aber es hat nichts genützt, die Blutungen sind nur noch schlimmer geworden.“

Regelblutungen gehören zum Erfahrungshorizont einer Frau. Sie kommen und gehen. Sie stehen für das Ende eines Zyklus. Und nach dem Ende kommt der Anfang, der sogar neues Leben ermöglicht. Blutungen jedoch, die nicht mehr aufhören, stehen für ein Ende ohne Ende. Die Frau blutet seit zwölf Jahren. Ohne Unterbrechung. Blut steht für Lebenskraft. Zwölf Jahre lang fließt Lebenskraft von ihr fort. Das hieß nach den damaligen Hygieneregeln auch: Seit zwölf Jahren durfte sie keinen Menschen mehr umarmen, keinen Tisch mehr berühren, ohne dass dieser danach als unrein galt, ohne dass er danach desinfiziert werden musste. Zwölf Jahre lang ist diese Frau zu Arzt und Arzt gerannt, hat viel durchgemacht. Hat ihr ganzes Geld dafür ausgegeben. Aber nichts hat geholfen. Sie ist sozial vereinsamt und wirtschaftlich am Ende. Diese Frau blutet nicht nur körperlich. Ihr blutet auch das Herz. Und das ist genauso schlimm. Und das geht nun schon so lange. Sie blutet an Leib und Seele.

Dass sie an diesem Tag überhaupt noch Kraft schöpft, aufzustehen und loszugehen, ist an sich schon ein Wunder. Ein unglaublicher Akt der Selbstmotivation. Und der Zuversicht, nach allem und trotz allem, was sie durchgemacht hat. „Wenn ich nur seinen Mantel berühre, werde ich gesund“.

Das ist nun schon der zweite Mensch in dieser Geschichte, der alle Hoffnung auf Berührung setzt. Jairus, der zu Jesus sagt: „Leg du meiner Tochter die Hände auf, dann wird sie gerettet.“ Und nun diese Frau: „Wenn ich nur seinen Mantel berühre, werde ich gesund.“ So spricht sie sich selber Mut zu und rafft sich auf.

Wegmarke: Sich aufraffen.

Vom äußeren Rand der Gesellschaft, verausgabt und vereinsamt, rafft sie sich auf. Sie überwindet die Menschenmenge und alle Konventionen, die sie von Jesus trennen. Fokus auf Jesus. Fokus auf Heilung. Sie schiebt jeglichen Gedanken an die enttäuschenden Hilfeversuche der letzten zwölf Jahre beiseite. Sie schiebt alle Berührungsängste und schlimmen Erfahrungen im Zusammensein mit anderen Menschen beiseite. Sie drängt sich zu Jesus hindurch, berührt den Saum seines Gewandes und spürt im selben Moment, wie ihre Blutungen aufhören. Sie spürte es, so steht in der Bibel, „in ihrem Leib“. Sie spürte es noch nicht in ihrer Seele. Und das erklärt auch, warum sie vor Jesus zusammenbricht. Die Jahre des Leidens, des finanziellen Ruins, der immer wieder enttäuschten Suche nach Hilfe, der gesellschaftlichen Ächtung und Vereinzelung sind nicht spurlos an ihr vorübergegangen. Ihre Seele ist nach wie vor verwundet.

Wegmarke: Niederfallen.

Jesus schaut die Frau an. Und sagt zu ihr: „Tochter, dein Glaube hat dich gerettet. Geh in Frieden. Du bist endgültig von deinem Leiden befreit.“

Jesus nennt sie „Tochter“ und damit erklärt er sie für zugehörig, nimmt sie in die Gemeinschaft auf. Nicht nur ihr körperliches Leiden, sondern auch ihr soziales Leiden darf jetzt ein Ende finden. Das, was soeben geschehen ist, hat ab jetzt Gültigkeit. Es gibt kein Zurück in die Leidenssituation der vergangenen Jahre. Ein Wort des Friedens und der Zukunft ist dieser Frau zugesagt: „Du bist frei. Geh in Frieden“. Frieden – das bedeutet Harmonie und Verbundenheit – körperlich und seelisch. Die Frau steht auf und geht in Frieden ihren Weg weiter.

Wegmarke: In Frieden gehen.

Was für eine wundervolle Heilungsgeschichte!

Diese Heilungsgeschichte ist einzigartig im Neuen Testament, denn Jesus tut hier nicht willentlich ein Wunder, sondern das Wunder geschieht, als die Frau ihn berührt. Ihre Sehnsucht nach Heilung ist die Antriebskraft für das Wunder. Sie löst die Dynamik aus. Ihre Tapferkeit. Ihr Mut. Das Mut kommt vom althochdeutschen „muot“ und bedeutet Herzenskraft. Ihre Herzenskraft, ihre Liebe zu sich selbst löst das Wunder aus.

Und darum ist diese Heilungsgeschichte auch für uns als erwachsene Frauen besonders. Weil sie uns ermutigt: Warte nicht, bis Hilfe zu euch kommt. Erduldet nicht länger, worunter ihr leidet. Gebt euch nicht auf! Sondern rafft euch auf! Voll Glaube und Liebe zu euch selbst! Und mit klarem Fokus auf Heilung.

***

Und jetzt kommt eine ganz interessante Verbindung. Denn diese Heilungsgeschichte ist ja eigentlich nur eine Unterbrechung auf dem Weg. Auf dem Weg von Jesus zur Tochter des Jairus. Wir erinnern uns:

Es kam einer der Synagogenleiter dazu. Mit Namen Jairus. Er sieht Jesus, wirft sich vor ihm nieder und fleht ihn an: „Komm in mein Haus! Meine Tochter liegt im Sterben. Leg ihr die Hände auf, damit sie gerettet wird und am Leben bleibt.“

Und dann diese Unterbrechung durch die blutende Frau. Die so viel Zeit kostet. Während der nun folgenden Bewegung – die Frau drängt sich zu Jesus hin, berührt ihn – Kraft fließt von Jesus zu der Frau – Jesus bleibt stehen, dreht sich um – die Frau fällt vor ihm nieder – steht auf, geht weiter… während all dieser Dynamik liegt im Haus des Jairus ein sterbendes Mädchen.

Als Jesus noch mit der erwachsenen Frau spricht, ihr zuhört und sie dann in Freiheit und Frieden ins Leben sendet – kommt die Nachricht zu Jairus: „Deine Tochter ist gestorben. Wozu bemühst du den Lehrer noch?“

Stillstand.

Die Frau ohne Namen, die Jesus Tochter nennt, ist geheilt. Aber deine Tochter, Jairus, die ist jetzt tot. Es sieht so aus, als ob die Heilung der einen ein „zu Spät“ für die andere bedeutet.

In den Worten derer, die die Nachricht überbringen, liegt auch eine gewisse Herabsetzung: „Bemühe den Lehrer nicht mehr.“ Den „Lehrer“. Den Rabbi. Denn das ist es, was sie in Jesus sehen: einen, der gute Worte findet, die Wirklichkeit zu deuten. Aber keinen Retter. „Bemühe den Rabbi nicht mehr!“

Jesus jedoch will bemüht werden! „Hab keine Angst“, sagt er zu Jairus, „glaube nur!“

Ich sehe hier eine wunderbare Verbindung. Eben noch hat Jesus den großen Glauben der Frau erlebt und benannt. „Dein Glaube hat dich geheilt!“ Und jetzt ermutigt Jesus den Vater des Mädchens, ebenfalls zu glauben. Es ist, als reiche er den Glauben der Frau an Jairus weiter. Hier, nimm! Das hilft! Ich habe es eben selbst erlebt.

Wir erinnern uns an den Vergleich mit dem Akku. Möglicherweise konnte Jesus in der Begegnung, im Gespräch mit der Frau auch seinen Akku wieder aufladen. Segen fließt immer in beide Richtungen.

Und da ist nun Jairus, und ganz unterschiedliche Stimmen drängen zu ihm hin: „Gib auf. Du hast verloren“, sagen die einen Stimmen. „Hab keine Angst, glaube nur!“, sagt eine andere.

Wir hören unterschiedliche Worte. Und dürfen entscheiden, welchen Worten wir Glauben schenken. Welche Worte unser Handeln leiten sollen.

Jairus nimmt den Glauben an, den Jesus von der Frau ohne Namen geschenkt bekommen hat und den er nun an Jairus weiterreicht. Jairus entscheidet sich für Worte des Lebens und geht weiter.

Wegmarke: Weitergehen.

Weiter, bis zu seinem Haus, in dem seine Tochter liegt.

Wegmarke: Still liegen.

Jesus geht mit ihm. Die Verheißung gilt. Egal was geschieht: Ich gehe mit dir.

Im Haus treffen sie auf die Trauergesellschaft, und in der Bibel steht: „Sie weinten und klagten laut.“ Totenklage im damaligen Israel war keine stille Trauerfeier, wie wir sie kennen. Totenklage war laut und gehörte zu den heiligsten Pflichten. Angehörige, Nachbarn, Freunde und selbst Feinde hatten da zu sein und zu klagen. Unterstützt von professionellen Klageweibern und Flötenspielern. Je vornehmer das Haus, desto gellender die Klage. Man raufte sich die Haare und zerkratzte sich das Gesicht.

Mitten hinein in diese Todesklage ruft Jesus: „Was soll dieser Lärm?! Das Kind ist nicht gestorben. Es schläft nur…“

Die Leute, die eben noch lauthals geklagt haben, fangen an zu lachen. Sie lachen Jesus aus.

Jesus wirft sie alle raus. Alle. Nur die Eltern des Mädchens und ein paar Jünger dürfen bleiben. Da liegt das Mädchen. Bewegungslos. Herausgefallen aus der Gemeinschaft der Lebenden. Und wie zuvor bei der blutflüssigen Frau gilt nun hier nach damaliger Vorschrift: Tote dürfen nicht berührt werden.

Aber Jesus hat keine Berührungsängste. Er geht zum Totenbett, nimmt die Hand des Mädchens und sagt: „Mädchen, steh auf!“

Diesmal ist es Jesus, von dem die Berührung ausgeht. Ausgehen muss. Denn im Gegenteil zu der erwachsenen Frau ist es diesem Mädchen nicht mehr möglich, sich zu bewegen. Jesus aus eigener Kraft zu berühren. Sie brauchte einen Fürsprecher, der für sie zu Jesus läuft und ihn herbittet: ihren Vater. Sie braucht Jesus, der zu ihr ans Totenbett kommt. Und sie braucht die Glaubensstärke der erwachsenen Frau.

Es gibt verschiedene Art und Weisen, biblische Texte zu deuten. Was diese Geschichte angeht, so finde ich einen Blick aus der Perspektive der Tiefenpsychologie sehr erhellend.

In der Tiefenpsychologie ist die Rede von „inneren Kindern“. Jede und jeder von uns hat „innere Kinder“. Unser jüngeres Selbst, das als Erinnerung in unserem Unterbewusstsein da ist. Es steht symbolisch für im Gehirn gespeicherte Gefühle, Erinnerungen, Erfahrungen der eigenen Vergangenheit. Freude. Schmerz. Traurigkeit. Neugier. Verlassenheit. Zurückweisung. Wut. In der psychotherapeutischen Arbeit mit den inneren Kindern geht es um eine bewusste Spaltung zwischen dem fühlenden und erlebenden inneren Kind und dem erwachsenen, beobachtenden und mit-fühlenden Ich. Nicht mit-leiden. Sondern mit-fühlen. (Das ist ein großer Unterschied! Wer mitleidet, wird dabei selbst geschwächt. Wer mitfühlt, geht in Verbindung, bleibt aber selbst in der Stärke.)

Ziel dieser Arbeit ist zuallererst, dass sich das Erwachsene Selbst den inneren Kindern in Liebe zuwendet, seelische Wunden mitfühlend wahrnimmt, zerstörerische Glaubens- und Lebensmuster erkennt und betrauert und den inneren Kindern liebevoll die Hand reicht. Sie tröstet. Sie annimmt. Ihnen verzeiht. Sie herauslöst aus der Erstarrung der Vergangenheit und hineinnimmt in die Gegenwart.

Jesus nimmt das Mädchen an der Hand und ruft es ins Leben: Kleine Tochter, steh auf! Die Geschichte erzählt: Sofort stand das Mädchen auf und ging ein wenig umher.

Wegmarke: Aufstehen.

Wegmarke: … ein wenig Umhergehen.

Das finde ich ganz wunderbar: Sie ging ein wenig umher. Kleine Schritte in alltäglicher Umgebung. Und dann sagt Jesus: „Gebt ihr etwas zu essen!“ Kümmert euch gut um eure Kinder! Um die Kinder, die euch das Leben anvertraut hat. Und um eure inneren Kinder. Gebt ihnen eine gute Umgebung, in der sie erste Schritte der Heilung gehen können. Und gebt ihnen gute Nahrung. Damit sie sich erholen und langsam zu Kräften kommen.

Die Eltern und die Jünger sind außer sich. Eine Totenerweckung! Jesus schärft ihnen ein, nichts davon zu erzählen. Wir erinnern uns: Als er zuvor das Haus betrat, hat er die Trauergesellschaft zur Ordnung gerufen: „Das Kind ist nicht tot. Es schläft nur“. Vielleicht hat er das nur gesagt, damit es nicht später überall heißt, er hätte eine Tote auferweckt. Das kann sein. Wenn ich aber seine Aussage tiefenpsychologisch betrachte, dann steckt darin noch ein anderer Gedanke: Das innere Kind ist nicht tot. Es schläft nur. Und darum kann es geweckt und aus dem Stillstand herausgelöst werden. Es darf aufstehen und umhergehen, etwas essen und gesund werden. In diesem Umhergehen steckt Kraft. Es ist kein Sprint. Kein Marathon. Kein Berg wird bestiegen und kein Meer durchschwommen. Umhergehen ist viel kleiner. Aber es ist nicht nichts. Und es ist ein Anfang.

Zeit zum Nachdenken und für Austausch: An welcher Wegmarke befindest du dich?

  • Mitgehen
  • Stehenbleiben
  • Sich aufraffen
  • Niederfallen
  • In Frieden gehen
  • Weitergehen
  • Still liegen
  • Aufstehen
  • … ein wenig Umhergehen

Die Geschichte von der Heilung der blutenden Frau und der Auferweckung der Tochter des Jairus erzählt der Notlage von Menschen, die aus der Gemeinschaft der Lebenden herausgefallen sind. Bei denen nichts mehr geht. Und von der Überwindung dieser Not.

Sie erzählt von der Kraft der Verzweiflung und der Zuversicht, die einen Menschen in Bewegung setzen kann. Um Hilfe zu erfahren. Um gerettet zu werden. Glaube nur! Raffe dich auf! Suche die Berührung mit dem, wovon Leben und Heilung ausgehen!“

Die Geschichte ruft dazu auf, herauszutreten aus der vermeintlichen Namen- und Bedeutungslosigkeit: Es ist von Bedeutung, wer du bist.

Die Geschichte erzählt von Todesschwachheit. Vom Angewiesensein auf einen Fürsprecher oder eine Fürsprecherin. Auf einen Menschen, der das Elend sieht, der zum Himmel schreit und Hilfe holt.

Sie ist also auch ein Aufruf an Menschen, die dazu fähig sind, die eigene Stimme zu erheben für die, die sich selbst nicht helfen können.

Die Geschichte erzählt von Überwindung von Ausgrenzung und Todesstarre. Und sie erzählt von der Wiederherstellung eines Lebens in Heil und Frieden.

Die ältere Frau, deren Blutung gestillt wird, und das junge Mädchen, das gerade erst auf dem Weg ist, erwachsen zu werden, gehören zusammen. Beide erleben einen Stillstand. Und beide kommen wieder in Bewegung und ins Leben zurück. Die eine findet Kraft dafür in sich selbst: Sie rafft sich auf. Die andere braucht die liebevolle Fürsorge und Ansprache: Steh auf!

Und weil wir davon ausgehen können, dass diese beiden Geschichten nicht grundlos ineinander verschränkt erzählt werden, ahnen wir: das Sich-Aufraffen und Geheiltwerden der erwachsenen Frau ist wichtig dafür, dass auch das Mädchen aufstehen und gesund werden kann. Und beide brauchen die Berührung und Verbindung durch göttlichen Liebe.

Es ist ein Geheimnis der Wunder Jesu, dass in seiner Nähe eine Kraft frei wird, die Menschen aus der Umklammerung ihrer äußeren und inneren Begrenzung herauslöst und sie dem Leben zurückgibt. Die göttliche Liebe ist grenzenlos. Sie umarmt alle Menschen. Männer und Frauen. Mädchen und Jungen. Alte und Kinder. Die Tochter der Ortsprominenz und die Frau ohne Namen.

Lassen wir es zu, dass die Liebe in uns Raum gewinnt. Dass wir berührt werden von menschlicher Not. Lasst uns in Bewegung kommen und Hilfe holen, wo Menschen im Stillstand gefangen sind. Und geben wir auch uns selbst nicht verloren. Lassen wir uns von unserer Sehnsucht nach Heilung bewegen. Suchen wir die Berührung mit dem, von dem wir wissen: Hier ist Leben. Hier ist Heilung. Lassen wir uns nicht einreden, die Lage sei hoffnungslos. Sie ist es nicht. „Ich gehe mit dir“. Versprochen.

Übrigens: In der Legende ist der Frau, die Jesus berührt, ein Name zugewachsen: Veronika (oder Berenike – ist eigentlich der gleiche Name). Und er bedeutet: die Siegbringerin.

Dass wir als Siegbringerinnen und Siegbringer zurück ins Leben gehen und somit auch anderen diesen Weg ermöglichen, dazu segne, berühre, umgebe und verbinde uns die göttliche Liebe.

Amen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

I accept that my given data and my IP address is sent to a server in the USA only for the purpose of spam prevention through the Akismet program.More information on Akismet and GDPR.